Ulbrichts Wiedergänger in der Ukraine
Friedensangebote à la Jazenjuk und
Poroschenko Nun will die Kiewer Regierung eine 1500
bis 2300 km lange Mauer (die Zahlen variieren) quer durch Osteuropa bauen –
mit Allem oder zumindest Vielem davon, was heutzutage derartige
Grenzbefestigungen ausmacht – wir Deutsche haben so etwas jahrzehntelang
genießen dürfen. Jetzt soll der „antifaschistische Schutzwall“ also wieder
kommen, mehr als doppelt so lang (wenn man die gesamte DDR-Grenze zur
Bundesrepublik rechnet), rund 2000 km weiter östlich als zu DDR-Zeiten. Ein Zeichen der völligen Paranoia,
die die derzeitige ukrainische Führung fest im Griff hat. Ein Zeichen einer
Paranoia, die aber offensichtlich nicht nur in Kiew zugeschlagen hat, sondern
auch 1500 km weiter westlich, und an der sich wieder einmal der einem freien
Fall gleichende Absturz des deutschen „Qualitätsjournalismus“ (Eigenbezeichnung,
womit eigentlich schon alles darüber gesagt ist) ablesen lässt. Befürwortet doch Rainer
Haubrich in „Die Welt“ – ausgerechnet in der Zeitung, die den
Mauerbauer-Staat DDR fast bis zum Schluss nur in Gänsefüßchen
schrieb) unter unreflektierter Übernahme der paranoiden Kiewer Argumentation
eben genau diesen ukrainischen Mauerplan. Ausgerechnet jetzt die „Welt“ als
Anhänger von Ulbrichts ukrainischen Wiedergängern! Sic transit gloria mundi. Eine gute Gegenüberstellung von Pro
(da gibt es nicht viel) und Contra zum Thema Neuauflage der „Mauer“ findet
sich den Leserkommentaren zu diesem Artikel, wie auch – das sei zur
Ehrenrettung des sogenannten „Qualitätsjournalismus“ auch gesagt – in anderen
Beiträgen zu diesem Thema wie etwa dem Kommentar
von Cathrin Kahlweit in der Süddeutschen Zeitung oder von Benjamin
Bidder auf Spiegel Online. Für die russische Armee, sollte sie
tatsächlich die Ukraine angreifen wollen, stellt eine solche Mauer bzw.
Grenzanlage kein Hindernis dar. Als Pro wird das Argument angeführt,
eine solche Mauer könnte das Einsickern von pro-separatistischen Kämpfern aus
Russland verhindern. Nur: Die fänden wohl in gemeinsamen Aktionen wohl auch
relativ leicht einen Weg, um eine solche Anlage zu überwinden. Für
Waffenlieferungen in größerem Umfang würde das ebenso gelten. Hinzu kommt noch das Argument, dass
– wenn es ein solches Einsickern von Kämpfern und Waffen in größerem Umfang
tatsächlich vorkam und immer noch vorkommt – diese Gefahr jetzt im Moment
akut wäre und nicht zu einem Zeitpunkt irgendwann in der Zukunft, wenn eine
solche Grenzanlage einmal fertig sein sollte. Denn es gilt ja dann für die Zukunft
dort wie auch überall sonst: Wo keine Kämpfe, da keine Kämpfer. Also:
Pro-separatistische Kämpfer kämen ja sicher nur dann über die Grenze, wenn es
überhaupt etwas zu kämpfen gibt. Das war bis vor Kurzem der Fall und steht
bei einem derart brüchigen Waffenstillstand immer noch zu befürchten, aber in
sechs oder zwölf Monaten? Mit was für weiteren Kämpfen
kalkuliert die ukrainische Regierung? Muss man daraus schließen, dass sie
herzlich wenig Energie daran setzen wird, jetzt zu einer tragfähigen
friedlichen politischen Regelung des Konflikts zu kommen? Dass sie von sich
aus die Kämpfe wieder aufnehmen bzw. anheizen wird, sobald sie eine Chance
sieht, dabei wieder Geländegewinne zu machen? Das könnte man befürchten, denn
jede friedliche Lösung erfordert Kompromisse, Nachgeben von beiden Seiten.
Und dass sie dazu offenbar in keiner Weise bereit ist, demonstriert die
Kiewer Führung mit diesem Mauerprojekt. Wieviel an Blutvergießen hat denn
„Kiew“ noch eingeplant? Reicht es noch nicht? Um eine solche Grenzanlage
überhaupt bauen zu können, muss es ja friedlich sein, und genau dann braucht
sie – wenn man die dafür vorgebrachten Begründungen ernst nehmen will –
ohnehin niemand mehr. Also warum dann dieses Projekt? Überlegen wir einmal, dass diese
Grenzanlage – je nach Stärke – eine unglaublich teure Angelegenheit werden
wird. Und sie wird auch auf Dauer ein großer Kostenfaktor bleiben. Solche Grenzanlagen
haben die Tendenz, immer weiter ausgebaut und vervollkommnet zu werden – denn
immer wieder gelingt es doch jemandem, sie zu überwinden, worauf dann zur
Verhinderung weiterer derartiger Zwischenfälle als Gegenmaßnahme die
Grenzanlagen weiter verstärkt werden. Das konnte man über Jahrzehnte an
der innerdeutschen Grenze beobachten, an den Grenzanlagen der USA in Richtung
Mexiko, wie auch an der Sicherung der Außengrenzen der EU in Südeuropa.
Selbst die Chinesische Mauer und den römischen Limes könnte man hier noch
anführen. Und an der ukrainisch-russischen Grenze wäre es nicht anders. Dauernde hohe Ausgaben für diese
Grenze in einem chronisch bankrotten Staat. Ein chronisch bankrotter Staat,
der zudem nach dem (hoffentlich!!) Ende des Bürgerkrieges die kostspielige
Aufgabe hätte, die vom Krieg verwüsteten Gebiete im Osten des Landes wieder
aufzubauen. Soll jetzt etwa, mit zerbombten Städten und zerstörter
Infrastruktur im Hinterland ein großer Teil der knappen finanziellen Mittel
und der verfügbaren Kapazitäten, was das Baugewerbe und Baumaterialien
angeht, in den Bau dieser monströsen Grenzanlagen investiert werden? Was für ein Signal an die
Bevölkerung dieser östlichen Landesteile in ihren zerstörten Städten und
Häusern wäre das denn? 11,8 Milliarden ukrainische Griwna, das sind gerade
einmal 895 Millionen Dollar bzw. 691 Millionen Euro (zum Kurs vom 16.9.2014),
schätzte
die ukrainische Regierung die Kosten für den Wiederaufbau der Infrastruktur
in der Ostukraine. Ein lächerlich geringer Betrag, der offensichtlich auch
alle Zerstörungen und Schäden an privaten Wohnhäusern, Unternehmen und
Eigentum außen vor lässt. Wie könnte diese Regierung ihren Landsleuten (so
sie sie denn noch als solche sieht) im Osten deutlicher demonstrieren, was
sie ihnen ja seit ihrer Installation im Februar auch ständig demonstriert
hat: Ihr seid uns scheißegal. Nun, diese 691 Millionen Euro wird
man leicht mal 50 nehmen dürfen. Was sind heutzutage noch 35 Milliarden Euro
angesichts der Trümmerwüsten, die vor allem die Beschießungen und
Bombardierungen der Städte und Ortschaften durch die Verbände der
ukrainischen Regierung hinterlassen haben? Unter mehreren Milliarden Euro
wird eine solche Grenzanlage nicht zu haben sein (zu den Kosten siehe hier).
Für die Mauer haben wir Geld, für euch nicht, genau das ist das Signal. Mit derartigen Signalen hatten die
neue ukrainische Regierung und die sie tragenden Kräfte den Konflikt mit den
östlichen Landesteilen ja überhaupt erst in Gang gebracht und angefacht bis
zur heißen Phase, die in einen blutigen Krieg führte. Und nichtsdestotrotz –
„Kiew“ macht offenbar einfach so weiter wie bisher. In Sachen Grenzmauer kommt es
freilich noch wesentlich ärger – ein Punkt, der in aller Kritik daran kaum je
vorkam. Denn eines ist doch klar: Die Bewohner der Ostukraine wollen eine
solche Grenzmauer, die genau ihren Lebensraum nach Osten abschneidet, mit
Sicherheit nicht. Erinnern wir uns daran, dass eben
genau dies eine der wesentlichen Ursachen für die Rebellion der Bevölkerung
in der Ostukraine war, dass die neue Regierung radikal und schnell die
Verbindungen ihres Landes mit Russland kappen wollte. Und hierbei ging es ja
keineswegs nur um Verbindungen, die sich auf die politische Ebene und den
wirtschaftlichen Austausch bezogen. Und auch schon was diese politischen und
wirtschaftlichen Verbindungen betraf, hat die große Mehrheit der Bevölkerung
in der Ostukraine, erinnern wir uns, diese einer Annäherung der Ukraine an
die EU ganz klar vorgezogen. Aber viel elementarer und völlig
unabhängig von den jeweiligen politischen und wirtschaftlichen Beziehungen
sind für die Menschen in der Ostukraine ihre ganz persönlichen, vielfältigen
Beziehungen über die Grenze nach Russland: Viele haben dort Verwandte und
Freunde (was etwa auch die große Zahl derjenigen Flüchtlinge aus der Ukraine
gezeigt hat, die privat in Russland untergekommen sind und in keiner
Flüchtlingsstatistik regulär erscheinen), viele arbeiten dort. Und für viele
ist das Gebiet jenseits der Grenze einfach Teil ihrer Lebenswelt. Dies war einmal eine völlig
unwichtige Grenze wie zwischen dem Saarland und der Pfalz, zwischen Frankfurt
und Aschaffenburg. Jetzt sollen also dort die Mauerbauer anrücken. Ein Irrsinn, wenn man bedenkt, dass
es jetzt darum gehen müsste, einen Modus vivendi für die Ostukraine zu
finden, der nicht viel weniger sein würde als eine Neuaufstellung des
gesamten Staates, die die Interessen aller Bevölkerungsteile berücksichtigt
und damit eine Balance schafft, mit der die Ukraine noch eine Chance als
Staat haben kann. Jetzt statt der Suche nach
Kompromissen bei einem wesentlichen Problemthema im Gegenteil noch einmal
kräftig nachzulegen und, anstelle von Maximalforderungen abzulassen, diese
noch zum Extremen zu steigern, das zeigt doch, wes Geistes Kind diese
Regierung ist, und wie sie die Probleme des Landes zu lösen gedenkt: mit
Auftrumpfen, das ja schon zu reichlich Gewalt und Gegengewalt geführt hat und
auch weiter führen würde. Es sind wieder einmal gerade die
normalen Bürger auf beiden Seiten der Grenze, für die diese neue Mauer ein
unüberwindbares Hindernis darstellen würde. Die Mauer würde es ermöglichen,
den Verkehr über die Grenze vollständig zu kontrollieren, mehr noch: ihn zu
regulieren, zu erschweren, zu beschränken. Wenig Grenzübergänge, d. h. lange
Fahrwege, umfangreiche Kontrollen, eine entsprechende Behandlung für
diejenigen, die zum „Feind“ wollen oder von dort kommen. Ja, der einzige wirkliche Effekt
einer derartigen Mauer wäre es, die Menschen, die sie überqueren wollen, weil
ihre Verwandten auf beiden Seiten der Mauer leben und weil ihre Lebenswelt
bisher an der Mauer nicht zu Ende war, zu schikanieren. Gerade wir Deutsche
kennen das doch sehr gut, selbst die Jüngeren aus den Erzählungen ihrer
Eltern, in Ost wie West. „Gönnse maln Goffrraum aufmachn“ war ja noch mit die
freundlichste Aufforderung im innerdeutschen Grenzverkehr. Und so macht sich also 25 Jahre nach
dem Mauerfall ein anderes Regime in Europa daran, wieder eine Mauer zu bauen
zu demselben Zweck: Menschen zu trennen und diejenigen, die sich nicht
trennen lassen wollen, zu drangsalieren. Von einem Regime, das dazu ebenso
fadenscheinige Begründungen von einer auswärtigen Bedrohung benutzt wie
seinerzeit die DDR, wie deren Benennung der Berliner Mauer als
„Antifaschistischer Schutzwall“ deutlich macht. Die Einführung von Zuständen, wie
sie den Deutschen noch gut in Erinnerung sind, nun an der
ukrainisch-russischen Grenze muss für die Bevölkerung in der Ostukraine eine
ungeheure Provokation sein – die sie sich wohl nicht ohne weiteres gefallen
lassen wird. Gewalttätigkeiten, Anschläge gegen die Mauerbauer und die Mauer
sind da, zumal bei dem hohen Gewaltpotential im Land, fast zu erwarten. Offenbar ist man in Kiew völlig
benebelt von den eigenen ideologischen Phrasen (die Mauer wird als
„Ukrainische Idee“ verkauft) oder man kalkuliert solche Gewalttätigkeiten
kaltblütig ein, wird man dann doch für derartige Gewaltakte an der Grenze
wieder den hinter wenigstens jedem zweiten Busch auf der anderen Seite
persönlich lauernden „Putin“ dafür verantwortlich machen. Last but not least: Es war übrigens
der Sprachgebrauch des Westens in den 1960er Jahren, die Berlin teilende
Mauer gerne als „Schandmauer“ zu bezeichnen. „Die Welt“ machte hier keine
Ausnahme. Zurecht, denn eine Schande für die DDR war die Mauer in der Tat.
Nun also wieder eine Mauer, diesmal von der „Welt“ bejubelt. Eine
„Schandmauer“ wäre die neue Mauer freilich ebenso wie die alte. Eine Schande
für die Ukraine bzw. die ukrainische Führung – und als kleiner Nebeneffekt nun
auch: für „Die Welt“. Dietrich
Klose, 16.9.2014 Nachtrag: Sehen Sie sich das Ganze selbst an. Bei
„Bild“ gibt es einen guten Artikel hierzu, mit Bildmaterial: Die Fotos und auch die Zeichnung des Querschnitts
durch die Grenzanlagen erinnern allerdings weniger an die Berliner Mauer als
an die innerdeutsche Grenze von Travemünde bis Hof. Und auch die Benennungen
sind entlarvend. Aus dem „Bild“-Artikel: „Wem der Name 'Stena' (dt. Mauer)
nicht gefällt, der kann dieses Projekt auch 'Europäischer Schutzwall'
nennen“, wird der Ministerpräsident von ukrainischen Medien zitiert. Da
ersteht sogar verbal der „Antifaschistische Schutzwall“ der DDR wieder auf,
mit der ganzen zynischen Verlogenheit, die dieser Benennung innewohnte. 18. Februar 2015: Die Ukraine baut ihre „Mauer“
weiter 18.2.2015 – Interfax Ukraine Yatseniuk:
Ukraine to build "security line" around Donbas, "European
Rampart" on Russian border The Ukrainian
government will approve on Wednesday a new edition of the "European Rampart"
program to be implemented on the border with Russia, and this rampart, the
same as the security line along Donbas, will be erected and reinforced,
Ukrainian Prime Minister Arseniy Yatseniuk said. http://en.interfax.com.ua/news/general/251349.html More links –
Weitere Links http://www.tagesanzeiger.ch/ausland/europa/Ukrainische-Armee-erobert-Mariupol/story/16914466 http://www.kmu.gov.ua/control/en/publish/article?art_id=247854969&cat_id=244314975 http://www.voxeurop.eu/de/content/news-brief/4853804-europas-neue-mauer http://www.kyivpost.com/content/ukraine/ukraine-hopes-to-wall-off-russia-370710.html http://www.thedailybeast.com/articles/2014/10/27/the-great-wall-of-ukraine.html http://ukraine.setimes.com/en_GB/articles/uwi/features/2014/11/26/feature-01 http://www.globalconreview.com/news/could-u2kr4ain6e-r0e8a4ll4y-w6al8l-r0us8s4ia/ 23. Februar 2015: Die Ukraine schließt die Grenze: Film: https://www.youtube.com/watch?v=iMH2ckxwQFM |