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Zwei Texte von Willy Wimmer auf den Nachdenkseiten

 

Willy Wimmer (* 18. Mai 1943 in Mönchengladbach) ist ein deutscher Politiker der CDU, der 33 Jahre dem Bundestag angehörte. Zwischen 1985 und 1992 war er erst verteidigungspolitischer Sprecher der CDU/CSU und dann Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung. Von 1994 bis 2000 war er Vizepräsident der Parlamentarischen Versammlung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). (aus Wikipedia).

 

http://www.nachdenkseiten.de/?p=22855

 

NATO-Gipfel im September mit 60 Staats- und Regierungschefs

einschließlich Poroschenko aus der Ukraine

18. August 2014

Verantwortlich: Albrecht Müller

Das ist ein Signal für eine Verschiebung zulasten der Vereinten Nationen und zu Gunsten der Militarisierung der Politik. Die Einladung des ukrainischen Präsidenten ist das Gegenteil einer vertrauensbildenden Maßnahme im Verhältnis zu Russland. Der frühere MdB und Parlamentarische Staatssekretär im Verteidigungsministerium Willy Wimmer (CDU) hat dazu einen Text geschrieben. Im Nachtrag 2 wird zum besseren Verständnis auf einen früheren Brief Wimmers an Kanzler Schröder hingewiesen. Albrecht Müller

 

Willy Wimmer

NATO-Gipfel in Wales am 4./5. September 2014. Wo ist die deutsche Position?

Dieser Gipfel hat es in sich. Nicht nur, weil für den Gastgeber, die britische Regierung, ganz klare innenpolitische Gründe vor dem Unabhängigkeitsvotum in Schottland und demnächst wohl auch in Wales zu erkennen sind. Wales, so sagt es die Regierung Cameron, soll auf die Weltbühne gehoben werden. Selbstredend geht das nur über eine auch für Wales zuständige Regierung in London und ist als Warnung für die Schotten bei der Abstimmung am 18. September 2014 gedacht. NATO, die personifizierte Einmischung in die inneren Angelegenheiten von Mitgliedsstaaten? Bei Großbritannien ist das allerdings kein Wunder. Deutschen Diplomaten ist schon seit Jahrzehnten und bei jedem Konflikt nach Ende des Kalten Krieges schmerzlich bewusst geworden, wie sehr London jede Verhandlung über Krisen und Kriege davon abhängig gemacht hat, welche Auswirkungen die jeweilige Position auf den Zusammenhalt des Inselreiches haben werde.

Wir dürfen schon aufhorchen, wenn es um die Zahl der staatlichen Repräsentanten geht, die sich in Wales einfinden werden. Es sind nicht nur die Vertreter der Mitgliedsstaaten der NATO. Nein, es sind 60 Staats- und Regierungschefs aus aller Welt, die sich die Einladung nach Wales etwas kosten lassen. Für sie gilt das olympische Motto, nach dem dabei gewesen sein alles bedeutet. Bei dieser Gesamtzahl ist nicht nur Erstaunen angebracht. Damit wird eine Perspektive für die NATO sichtbar, die an prominentester Stelle einst der berüchtigte Vizepräsident der USA, Dick Cheney, ausgegeben hatte. Zunächst haben die USA die Vereinten Nationen genötigt, gleichsam die NATO als militärischen Dienstleister für ihre sicherheitspolitischen Maßnahmen zu akzeptieren. Das darüber verfolgte amerikanische Ziel ging und geht in eine völlig andere Richtung. Die Vereinten Nationen sollen soweit marginalisiert werden, dass sich baldmöglichst die von den USA dominierte NATO an die globale Stelle der Vereinten Nationen setzen kann.

Auf einen Gast wird der erstaunte Kontinent besonders achten. Es handelt sich um den ukrainischen Präsidenten Poroschenko, der zumindest in einem großen Teil seines Landes mit einer Mehrheit von über 50 Prozent derjenigen gewählt worden ist, die zur Wahl unter den obwaltenden Umständen gegangen sind. Das bedeutet in der Ukraine nicht viel, weil auch der gestürzte Präsident Janukowitsch bei freien Wahlen nach internationalen Standards gewählt worden ist. Fraglich ist allerdings, was die von der deutschen Bundeskanzlerin, Frau Dr. Merkel, gebetsmühlenartig an die Adresse des russischen Präsidenten Putin gerichtete Mahnung, sich nicht in der Ost-Ukraine einzumischen, eigentlich soll? Die NATO macht durch die Einladung ihres Kumpels aus Kiew doch mehr als deutlich, wie sehr sie die inneren Verhältnisse in der Ukraine bestimmt. Sie ist mehr als jeder andere Partei in dem Bürgerkrieg, nicht zuletzt über amerikanische Privatarmeen, die im amerikanischen Staatsauftrag die Ostukraine von russisch-sprechenden Menschen „säubern“ sollen. Zu diesem Komplizen-haften Verhalten zählt aber zunächst das beharrliche Unterdrücken jeder Aufklärung der schrecklichen Tragödie von Flug MH17 mit den fast 300 toten Fluggästen und Mannschaftsmitgliedern, dem Massaker auf dem Maidan-Platz in Kiew und den Brandopfern im Gewerkschaftshaus von Odessa. Von der einstmals vielgerühmten „westlichen Wertegemeinschaft“ ist nichts mehr übrig geblieben.

Natürlich ist die Anwesenheit von Präsident Poroschenko in Wales ein Signal. Dazu dürfte auch der Blick auf seine Entourage zählen. Werden wir zum ersten Male bei einem NATO-Gipfel NAZI-Militärs als Vertreter der ukrainischen Nationalgarde-Einheit „Asow“ begrüßen dürfen? Hat auch das Signalcharakter für Europa? Will man mit diesen Leuten in Wales daran erinnern, warum vor 75 Jahren der Zweite Weltkrieg ausgebrochen war? Es fällt ja schon auf, wer in Kiew so alles zu den Faschisten schweigt, obwohl man einen Aufschrei erwarten müsste. Bereitet man sich schon auf Marie Le Pen vor, indem man diese Bagage hoffähig macht? Oder will die amerikanische NATO-Führungsmacht nur klarstellen, dass sie es auch in Europa mit jedem macht, den sie gegen Russland in Stellung bringen kann?

Jetzt müsste jeder Deutsche erwarten können, dass die deutsche Bundeskanzlerin vor einem derartig gewichtigen NATO-Gipfel die deutsche Öffentlichkeit über eine Regierungserklärung im Deutschen Bundestag wissen lässt, wie nicht sie persönlich sondern Deutschland die Zukunft der NATO sieht? Oder will sie den Umstand, wie konturenlos die deutsche Außenpolitik in diesem Kontext ist, dadurch übertünchen, dass sie lieber gar nichts sagt. Dann kann man später natürlich darauf verweisen, welchen Einfluss man als angeblich „mächtigste Frau der Welt“ auf amerikanische Zielvorgaben gehabt haben könnte. Dafür steht für Deutschland bei diesem NATO-Gipfel alles auf dem Spiel. Das in Aussicht genommene transatlantische Freihandelsabkommen bedarf nur der „Übernahme“, d.h. der politischen Steuerung der Ukraine durch die USA, um aus Ländern wie Frankreich, Benelux, Österreich, Italien und Deutschland Kolonialgebiete unter extensiver US-Kontrolle zu machen. Da sieht man nicht nur im Großen, sondern auch die von den USA auf deutschem Territorium beabsichtigten Fluggastkontrolle durch amerikanisches Staatspersonal. Wir sollen von unseren natürlichen Partnern, weil Nachbarn im gemeinsamen Haus Europa, auf Dauer getrennt werden. Natürlich mit Hilfe der baltischen Staaten, Polens und der Ukraine. Von Bulgarien und Rumänien sollte man alleine schon deshalb schweigen, weil schon der Besuch von US-Senatoren in diesen Ländern die dortigen Regierungen veranlasst, ihre Politik – siehe „south stream“ – zu ändern. Für Deutschland war seit dem „goldenen Zeitalter Deutschlands“ unter dem Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl* Russland der Nachbar und der Partner. Für die USA ist Russland erkennbar der Rivale, der Feind, die Beute**. Das soll in Wales zementiert werden.

 

 

* Nachbemerkung 1 von A.M.: Na ja, das „goldene Zeitalter“ der West-Ost-Partnerschaft hat nun wahrlich nicht erst mit Helmut Kohl begonnen.

** Nachbemerkung 2 von A.M. zum besseren Verständnis von Willy Wimmers Sorgen:

Wimmer hat im Jahr 2000 an einer vom State Department der USA und dem American Enterprise Institute getragenen Konferenz in Bratislava teilgenommen und dem damaligen Bundeskanzler Schröder in einem Brief davon berichtet. Die NDS hatten am 25.4.2014 darauf hingewiesen. Der Brief ist wegen seiner Aktualität hier noch einmal angehängt:

Anhang:

Willy Wimmer, Mitglied des Bundestages,
Vorsitzender des CDU-Bezirksverbandes Niederrhein,
Vizepräsident der Parlamentarischen Versammlung der OSZE

Herrn Gerhard Schröder, MdB,
Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland,
Bundeskanzleramt, Schlossplatz 1, 10178 Berlin
Berlin, den 02.05.00

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler,

am vergangenen Wochenende hatte ich in der slowakischen Hauptstadt Bratislava Gelegenheit, an einer gemeinsam vom US-Außenministerium und American Enterprise Institute (außenpolitisches Institut der republikanischen Partei) veranstalteten Konferenz mit den Schwerpunktthemen Balkan und NATO-Erweiterung teilzunehmen.

Die Veranstaltung war sehr hochrangig besetzt, was sich schon aus der Anwesenheit zahlreicher Ministerpräsidenten sowie Außen- und Verteidigungsminister aus der Region ergab. Von den zahlreichen wichtigen Punkten, die im Rahmen der vorgenannten Themenstellung behandelt werden konnten, verdienen es einige, besonders wiedergegeben zu werden:

1.     Von Seiten der Veranstalter wurde verlangt, im Kreise der Alliierten eine möglichst baldige völkerrechtliche Anerkennung eines unabhängigen Staates Kosovo vorzunehmen.

2.     Vom Veranstalter wurde erklärt, dass die Bundesrepublik Jugoslawien außerhalb jeder Rechtsordnung, vor allem der Schlussakte von Helsinki, stehe.

3.     Die europäische Rechtsordnung sei für die Umsetzung von NATO-Überlegungen hinderlich. Dafür sei die amerikanische Rechtsordnung auch bei der Anwendung in Europa geeigneter.

4.     Der Krieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien sei geführt worden, um eine Fehlentscheidung von General Eisenhower aus dem 2. Weltkrieg zu revidieren. Eine Stationierung von US-Soldaten habe aus strategischen Gründen dort nachgeholt werden müssen.

5.     Die europäischen Verbündeten hätten beim Krieg gegen Jugoslawien deshalb mitgemacht, um de facto das Dilemma überwinden zu können, das sich aus dem im April 1999 verabschiedeten “Neuen Strategischen Konzept” der Allianz und der Neigung der Europäer zu einem vorherigen Mandat der UN oder OSZE ergeben habe.

6.     Unbeschadet der anschließenden legalistischen Interpretation der Europäer, nach der es sich bei dem erweiterten Aufgabenfeld der NATO über das Vertragsgebiet hinaus bei dem Krieg gegen Jugoslawien um einen Ausnahmefall gehandelt habe, sei es selbstverständlich ein Präzedenzfall, auf den sich jeder jederzeit berufen könne und auch werde.

7.     Es gelte, bei der jetzt anstehenden NATO-Erweiterung die räumliche Situation zwischen der Ostsee und Anatolien so wiederherzustellen, wie es in der Hochzeit der römischen Ausdehnung gewesen sei.

8.     Dazu müsse Polen nach Norden und Süden mit demokratischen Staaten als Nachbarn umgeben werden, Rumänien und Bulgarien die Landesverbindung zur Türkei sicherstellen, Serbien (wohl zwecks Sicherstellung einer US-Militärpräsenz) auf Dauer aus der europäischen Entwicklung ausgeklammert werden.

9.     Nördlich von Polen gelte es, die vollständige Kontrolle über den Zugang aus St. Petersburg zur Ostsee zu erhalten.

10. In jedem Prozess sei dem Selbstbestimmungsrecht der Vorrang vor allen anderen Bestimmungen oder Regeln des Völkerrechts zu geben.

11. Die Feststellung stieß nicht auf Widerspruch, nach der die NATO bei dem Angriff gegen die Bundesrepublik Jugoslawien gegen jede internationale Regel und vor allem einschlägige Bestimmungen des Völkerrechts verstoßen habe.

Nach dieser sehr freimütig verlaufenen Veranstaltung kommt man in Anbetracht der Teilnehmer und der Veranstalter nicht umhin, eine Bewertung der Aussagen auf dieser Konferenz vorzunehmen.

Die amerikanische Seite scheint im globalen Kontext und zur Durchsetzung ihrer Ziele bewusst und gewollt die als Ergebnis von 2 Kriegen im letzten Jahrhundert entwickelte internationale Rechtsordnung aushebeln zu wollen. Macht soll Recht vorgehen. Wo internationales Recht im Wege steht, wird es beseitigt. Als eine ähnliche Entwicklung den Völkerbund traf, war der Zweite Weltkrieg nicht mehr fern. Ein Denken, das die eigenen Interessen so absolut sieht, kann nur totalitär genannt werden.

Mit freundlichen Grüßen
W. Wimmer

 

Dieser Text ist für nichtkommerzielle Zwecke nutzbar, wenn die Quelle (http://www.nachdenkseiten.de/?p=22855) genannt wird. Er steht unter Creative Commons Lizenz 2.0 Non-Commercial.

 

 

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Alarmstufe „Rot“ – ein weiterer Denkanstoß von Willy Wimmer

14. Juli 2014

Verantwortlich: Albrecht Müller

Der frühere Parlamentarische Staatssekretär und CDU-Bundestagsabgeordnete verfolgt das Geschehen mit großer Sorge – so auch jetzt das Geschehen an der Grenze zwischen der Ostukraine und Russland. Er sieht ein Zusammenspiel zwischen den Spitzen in der Ukraine und den USA unter Ausschluss der europäischen Staaten. Da gibt es eine kleine Differenz zu meiner Einschätzung: ich fürchte, ein Großteil unserer Führungspersonen stecken unter der gleichen Decke. Albrecht Müller.

Hier der Text von Willy Wimmer:

Seit dem Versuch, die Ukraine-Krise wegen der Aufstände in Kiew durch die Außenminister Fabius, Sikorski und Steinmeier zu lösen, zieht es sich bis zu den jüngsten und angeblichen Vereinbarungen zwischen Poroschenko, Putin und Hollande wie ein roter Faden durch die kriegsgefährlich gewordene Ukraine-Krise. Es wird der nachdrückliche Beweis dafür erbracht, dass jeder europäische Lösungsversuch durch den ukrainischen Präsidenten und seine Master in Washington hintertrieben wird. Die europäischen Staaten müssen nicht erst seit den offenen Worten von Frau Nuland aus dem US-Außenministerium erkennen, wie sehr, was in der Ukraine zum offenen Krieg mit Nachbarn führen wird, als „Drehbuch“ in Washington und in keiner europäischen Hauptstadt liegt. Es ging in der Vorfreude für das Endspiel bei der Fußball-Weltmeisterschaft völlig unter, dass am Wochenende offenbar von ukrainischen Stellungen Ziele auf russischem Staatsgebiet unter Feuer genommen worden sind. Zufall oder nicht? Aus der Reaktion in Kiew kann jeder entnehmen, dass Vorfälle wie die von diesem Wochenende den dortigen Machthabern völlig egal sind. Folgen haben sie ohnehin nicht zu befürchten. Dafür sorgen andere. Nicht zuletzt der noch im Amt befindliche NATO-Generalsekretär Rasmussen. Wochenlang hat er die russische Seite aufgefordert, die eigenen Truppen von der russischen Seite der ukrainisch-russischen Grenze abzuziehen. Jetzt wissen wir auch, warum diese Aufforderung erfolgt ist.

In einer Zeit, in der sich die eine Hälfte Europas in Ferien befindet und ein weiterer Teil sich mit Fußball beschäftigte, brennt zwischen der Ukraine und Russland die Zündschnur. Von dem Massenmord auf dem Maidan-Platz in Kiew angefangen, wurde diese Lunte für etwas Größeres bewusst gelegt. Dabei spielte es für den Westen und hier vor allem für die grenzenlos willfährige „Qualitätspresse“ keine Rolle, aufzuklären, wer die Menschen auf dem Platz erschossen hat, um dem Umsturz die „Krone“ aufzusetzen. Bislang konnten die Opfer solcher Massaker davon ausgehen, dass der Westen um ihrer selbst willen die Täter anklagte. Heute ist gewiss, dass westliches Handeln eine Frage der Opportunität ist. Das nennt man gemeinhin „moralische Verkommenheit“. In Kiew und in der Frage, wer sich dort allgemein westlicher Unterstützung erfreut, kann sehr gut festgestellt werden, wie wenig von einer ehemals stolzen „westlichen Wertegemeinschaft“ übriggeblieben ist.

Die Ukraine scheint die Blaupause für weiteres Vorgehen in Europa und darüber hinaus zu werden. Das Vorgehen des ukrainischen Machthabers Poroschenko gegenüber dem Osten seines eigenen Landes und vor allem der dort lebenden Bevölkerung hat nichts mehr von dem an sich, wie Schwierigkeiten im eigenen Land beigelegt oder angegangen werden können. Das ist Krieg gegen die eigene Bevölkerung und das mit einer angeblich aus dem Boden gestampften „Nationalgarde“, die aus den faschistischen Gruppen, vor allem aus der Westukraine, geschaffen worden ist. Den Menschen in der Ostukraine wird auf diese Weise demonstriert, dass jene Kräfte zurückkehren, die in der Vergangenheit millionenfaches Leid nicht nur über diese Landstriche gebracht haben. Europa sollte sich schämen, diesen Gestalten auch nur den Schimmer eines Verständnisses zukommen zu lassen.

Das amerikanisch-Kiew-ukrainische Ziel dieses Vorgehens wird notfalls auf den offenen Krieg mit Russland aus sein, um letztlich die Ukraine als Bollwerk nicht nur gegen Russland nutzen zu können. Sollte es gelingen, die Ukraine derart den USA dienstbar zu machen, wird es einen kompletten Riegel unter US-Kontrolle zwischen dem Baltikum über Polen und die Ukraine zum Schwarzen Meer geben. Ein amerikanisches Ziel, das auf dem NATO-Gipfel in Riga 2006 schon einmal angesteuert worden ist. Da dieser amerikanische Vorstoß am Widerstand der Europäer seinerzeit gescheitert ist, hat jetzt Washington die Daumenschrauben gegenüber den unbotmäßigen Europäern angesetzt. Dann eben Totalkontrolle über die Ukraine ohne die Europäer.

Damit können gleich zwei substantielle Ziele in dramatischer Weise umgesetzt werden: Washington schmeißt Russland aus Europa hinaus und bekommt Westeuropa unter Komplett-Kontrolle. Da mag es traditionell noch so gute Wirtschaftsbeziehungen zwischen Russland und Deutschland geben. Washington dreht diesen Hahn in Zukunft ab oder Moskau kriecht zu Kreuze und liefert nicht nur das russische Erdgas und Erdöl amerikanischer Kontrolle aus, wie es zu Zeiten von Yukos fast gelungen wäre. Die Grenzverletzungen am Endspiel-Wochenende durch ukrainische Einheiten an der russisch/ukrainischen Grenze sind der Vorgeschmack dafür, wie hoch das „Preisschild“ ausfallen dürfte.

Wir Westeuropäer sollten uns nichts vormachen. Wir werden zum „Europäer-Gebiet“, wenn noch vor der vom „Spiegel“ in Aussicht gestellten Ende der Kanzlerschaft Merkel die Vereinigten Staaten uns das „Transatlantische Freihandelsabkommen“ aufoktroyiert haben werden. Es sind nicht die Chlor–Hähnchen, die unser Schicksal besiegeln werden. Das werden die Schiedsgerichte im Interesse der US-Anwaltsfabriken sein, die den Resten der parlamentarischen Demokratie in unseren Staaten den Garaus machen werden. Man mag sich gar nicht mehr daran erinnern, dass Willy Brandt Deutschland einmal mehr Demokratie in Aussicht stellte. Seit Jahren werden wir von „oben nach unten“ regiert und die eigenen deutschen Entscheidungsmöglichkeiten sind im Moloch Brüsseler Lobbyinteressen verschwunden. Das, was vom europäischen demokratischen System noch übrig geblieben ist, soll jetzt dem Überfall amerikanischer Schiedsgerichte zur Aushebelung unserer Regierungen und Parlamente standhalten? Daran zu denken bedeutet, die Hoffnungslosigkeit zum politischen Grundmuster zu machen.

Nach dem von den Streitkräften im Auslandseinsätzen gefürchteten „friendly fire“, bei dem man Opfer der eigenen Waffenwirkung wird, kommt jetzt offenbar das System der „friendly occupation“ zur Vollendung der genannten Ziele. Es gibt wohl kaum eine Hauptstadt, die den USA gegenüber so offen ist, wie man das für Berlin sagen kann. Andererseits nehmen bei kaum noch vorhandener administrativer und politischer Gestaltungskraft in der deutschen Hauptstadt „councils für dit und dat“ im US-Interesse sich die noch vorhandenen Entscheidungsträger „vor die Brust“. Amerikanisches Gedankengut und Einfluss, wohin man auch den Blick schweifen lässt. Berlin gibt den Amerikanern jedes Papier und jedes Dokument, das von amerikanischem Interesse ist, doch schon freiwillig raus. Wozu dann noch Spionage und das auch noch von Wien aus. Wenn man schon den Hals nicht vollkriegen kann, was bleibt dann noch übrig? Die Frage hat vor wenigen Tagen und überaus öffentlich der Präsident des BDI, Herr Grillo, angesprochen. Zutreffend und ziemlich spät wies Herr Grillo darauf hin, mit welch gefüllten „Kriegskassen“ amerikanische Globalkonzerne in Europa nach dem Muster Alstom in Frankreich auf Einkaufstour gehen. Nachdem man für seine Erlöse – aus den vom britischen Premierminister bekannt gemachten Gründen – schon kaum Steuern bezahlt, sticht man jeden europäischen Mitbewerber durch amerikanische Angebote aus und reißt sich von der deutschen und europäischen Industrie noch das unter den Nagel, was noch nicht im Bestand der USA ist.

 

Dieser Text ist für nichtkommerzielle Zwecke nutzbar, wenn die Quelle (http://www.nachdenkseiten.de/?p=22379) genannt wird. Er steht unter Creative Commons Lizenz 2.0 Non-Commercial.

 

 

Dazu auch zwei Filmbeiträge mit Willy Wimmer

 

Rede von Willy Wimmer beim Pleisweiler Gespräch am 21. Juni 2014, mit Einführung durch Albrecht Müller und anschließender Diskussion:

http://www.nachdenkseiten.de/?p=22136

 

Langes Interview von Ken FM mit Willy Wimmer über die Ukraine, die Europawahl, die US-Außenpolitik, 9. Juni 2014

https://www.youtube.com/watch?v=8B1sctKCvxI

 

 

 

 

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