Alexander Solschenizyn sieht die Ukrainekrise lange voraus Aus: DER ARCHIPEL GULAG; Teil fünf, Kapitel zwei, geschrieben
1968, veröffentlicht 1974: ...Mir schmerzte es, darüber zu schreiben:
das Ukrainische und das Russische verschmelzen sich in meinem Blut, im Herzen
und in meinen Gedanken. Die große Erfahrung im Verkehr mit Ukrainern in den
Lagern eröffnete mir jedoch, wie viel Schmerz sie in sich tragen. Unsere
Generation wird es nicht vermeiden, für die Fehler der Älteren zu zahlen… ...Mit der Ukraine wird es außerordentlich
schmerzlich kommen. Aber man muss die Glut des ukrainischen Volkes schon
jetzt begreifen. Wenn es sich über Jahrhunderte hinweg nicht gelegt hat, dann
werden wir nun Besonnenheit an den Tag legen. Wir sind verpflichtet, die
Entscheidung ihnen zu überlassen – ob Föderalisierungsanhängern oder
Separatisten. Nicht nachzugeben wäre verrückt und grausam. Und je sanfter, je
duldsamer und erklärender wir nun sind, desto mehr Hoffnung besteht, in der
Zukunft die Einheit wiederherzustellen... ...Mögen sie nun leben und es probieren. Sie
werden schnell begreifen, dass nicht alle Probleme sich durch Abtrennung
lösen lassen. (Das liegt daran, dass in verschiedenen Gebieten der Ukraine
das Verhältnis von denen, die sich für Ukrainer, für Russen oder für keines
von den beiden halten). Vielleicht wird ein jedes Gebiet einen Volksentscheid
brauchen und dann später eine begünstigende und schonende Einstellung zu
allen, die umziehen wollen. Nicht die ganze Ukraine in ihren heutigen
formellen sowjetischen Grenzen ist tatsächlich Ukraine. So manche
linksufrigen Gebiete tendieren natürlich zu Russland. Und die Krim der
Ukraine zuzuschreiben, war gar eine Schnapsidee Chruschtschows… 27. Oktober 1990. Aus einem Brief an Swjatoslaw Karawanski: Jetzt, wo in der Westukraine Lenin-Denkmäler
gestürzt werden (das geschieht ihnen auch recht), ist es der innigste Wunsch
derselben Westukrainer, dass die Ukraine die Leninschen Grenzen hat, die ihr
von Väterchen Lenin geschenkt wurden, als er suchte, das Land auch irgendwie
für die eingebüßte Unabhängigkeit zu entschädigen, und deswegen Noworossija
(Jugorossija), den Donbass (um das Donez-Becken von den
„konterrevolutionären“ Einflüssen des Don abzutrennen) und das Linksuferland
dazu schnitt. (Und Chruschtschow „schenkte“ ihnen dazu auch noch die Krim).
Nun erheben sich die ukrainischen Nationalisten für die „heiligen“ Leninschen
Grenzen wie ein einziger Mann? 1990. Wie sollen wir Russland einrichten? Ein Wort an Ukrainer
und Belorussen: ...Natürlich teilen wir den Schmerz für
tödliche Qualen der Ukraine in der Sowjetzeit. Aber woher dieser Hieb – die
Ukraine auf lebendigem Fleisch abzuschneiden (auch die Gebiete, die nie
urukrainisch waren, wie etwa „das Wilde Feld“ der Nomaden – Noworossija und
die Krim, der Donbass und fast bis zum Kaspischen Meer)? Und wenn es um eine
„Selbstbestimmung der Nation“ geht, dann soll das Land sein Schicksal selbst
bestimmen. Ohne eine Volksabstimmung ist es nicht machbar... ...Die Ukraine abtrennen bedeutet heute
einen Schnitt durch Millionen Familien und Menschen: Wie gemischt ist die
Bevölkerung; ganze Gebiete sind überwiegend russisch; wie viele Menschen, die
sich schwer damit tun, ihre Nationalität als eine von den beiden zu
bestimmen; wie viele sind einer gemischten Abstammung; wie viele gemischte
Ehen gibt es, die bisher allerdings nie als gemischt betrachtet wurden. In
der großen Masse der Bevölkerung gibt es keinen Schatten von Intoleranz
zwischen Ukrainern und Russen... nach: Originaltext und ausführlicher: http://www.rg.ru/2014/05/16/solzhenitsyn.html 1998, in dem Buch „Russland vor dem
Zusammenbruch“, Kapitel „Die slawische Tragödie“: Über die
Krim In der
eigenständigen Entwicklung segne Gott die Ukraine mit jeglichem Erfolg. Ihr schwerer
Irrtum besteht gerade in dieser unmäßigen Erweiterung der Landfläche, die bis
zu Lenin niemals zur Ukraine gehört haben: die zwei Donezk-Gebiete, der ganze
südliche Landstreifen Neurusslands (Melitopol – Cherson – Odessa) und die
Krim. Über die
russische Sprache Die ukrainischen Behörden haben den
Weg der verstärkten Unterdrückung der russischen Sprache eingeschlagen. Ihr
wurde nicht nur versagt, die zweite offizielle Staatssprache zu werden,
sondern sie wurde rigoros aus Rundfunk und Fernsehen sowie aus der Presse
verdrängt. In den Hochschulen wird – von der Aufnahmeprüfung bis zu dem
Diplomprojekt – alles nur auf Ukrainisch durchgeführt, und wenn die
Terminologie fehlt, windet man sich heraus. Aus den Lehrprogrammen der
Schulen wurde die russische Sprache restlos ausgeschlossen – wo man sie als
„ausländisch“, als fakultativ zurückstuft; vollständig eliminiert wurde die
Geschichte des russischen Staates, und aus dem Programm in der Literatur
wurde wohl die ganze russische Klassik entfernt. Es ertönen solche
Anschuldigungen, wie „die sprachwissenschaftliche russische Aggression“ und
„russifizierte Ukrainer als fünfte Kolonne“. Es wird nicht mit dem
methodischen Aufstieg der ukrainischen Kultur begonnen, sondern mit der
Unterdrückung der russischen Kultur. Und hartnäckig unterdrückt man die
Ukrainische Orthodoxe Kirche, die mit ihren 70 % ukrainischen Orthodoxen dem
Moskauer Patriarchat treu geblieben ist … Die fanatische Unterdrückung und
Verfolgung der russischen Sprache (die in den jüngsten Umfragen von mehr als
60 % der Bevölkerung Ukraine als Hauptsprache benannt wurde) ist einfach eine
grausame Maßnahme, ja und sie ist gegen die kulturelle Perspektive der
Ukraine selbst gerichtet. Über die
ukrainische Sprache Im abgetrennten Galizien war mit österreichischer
Unterstützung das verzerrte Ukrainisch gezüchtet worden, das keine
Volksprache darstellt, denn sie war mit deutschen und polnischen Wörtern
durchsetzt. Sogar die ethnisch-ukrainische
Bevölkerung beherrscht oder verwendet die ukrainische Sprache meistens nicht.
Das bedeutet, dass Maßnahmen bevorstehen, durch die alle Ukrainer gezwungen
werden, die ukrainische Sprache zu sprechen. Dann wird es offensichtlich die
nächste Aufgabe sein, die Russen zu zwingen, Ukrainisch zu sprechen (und wie
soll das ohne Zwang vor sich gehen)? Zudem hat sich die ukrainische Sprache
bis jetzt noch nicht bis in die Komplexität und die höchsten Ebenen von
Wissenschaft, Technik und Kultur hinein entwickelt – man muss diese Aufgabe
erledigen. Außerdem muss man die ukrainische Sprache notwendigerweise auch im
internationalen Verkehr unentbehrlich machen. Wahrscheinlich werden alle
diese kulturellen Aufgaben wohl mehr als ein Jahrhundert erfordern – oder?
Aber zur Zeit lesen wir Mitteilungen über die Unterdrückung der russischen
Schulen, sogar von rowdyhaften Angriffen auf russische Schulen, der
Abstellung der Übersetzung des russischen Fernsehens bis hin zu dem Verbot,
das den Bibliothekaren auferlegt worden ist, mit den Lesern russisch zu
sprechen, – ist das wirklich ein Entwicklungsweg der ukrainischen Kultur? Über die
Pläne des Westens Die antirussische Position Ukraine ist
gerade das, was auch die USA benötigen. Die ukrainischen Behörden leisten dem
amerikanischen Ziel, Russland zu schwächen, dienstbeflissen Vorschub. Das
entwickelte sich auch schnell und hat sich bis zu „den besonderen Beziehungen
der Ukraine mit der NATO“ und bis zu den Manövern der amerikanischen Marine
im Schwarzen Meer hin entfaltet. Zwangsläufig wird man an den unsterblichen
Plan von Parvus aus dem Jahre 1915 erinnert: die Ausnutzung des ukrainischen
Separatismus, um Russland erfolgreich ins Chaos zu stürzen und zu zerstören.
Übersetzung:
Irina Snatschok 2006, im Interview mit Moskowskije
Nowosti: … Was in der Ukraine geschieht (...) erfüllt mich mit ständiger Trauer
und Schmerz. Die fanatische Unterdrückung und Verfolgung der russischen
Sprache ist nicht nur eine barbarische Maßnahme, sondern richtet sich auch
gegen die kulturellen Perspektiven der Ukraine selbst (...) Rußland hat kein
Recht, gleichgültig die russische Bevölkerung mit ihren vielen Millionen
Einwohnern in der Ukraine zu verraten… In deutscher Übersetzung (gekürzt) von Jens
Hartmann, das ganze Interview: 23. Juli 2007, im Spiegel-Interview: … Als ich
1994 zurück nach Russland kam, erlebte ich eine Vergötterung der westlichen
Welt und der Staatsordnung ganz unterschiedlicher Länder. Sie beruhte nicht
auf wirklicher Kenntnis oder bewusster Auswahl, sondern vielmehr auf einer
natürlichen Ablehnung des bolschewistischen Regimes und seiner antiwestlichen
Propaganda. Diese Stimmung änderte sich nach dem brutalen Nato-Bombardement
Serbiens. Es wurde ein dicker schwarzer Strich gezogen, der nicht mehr
auszuradieren ist, und ich glaube, er geht durch alle Schichten der
russischen Gesellschaft. Dazu kamen die Versuche der Nato, Teile der
zerfallenen UdSSR in ihre Sphäre zu ziehen, vor allem - was besonders
schmerzlich war - die Ukraine, ein mit uns eng verwandtes Land, mit dem wir
durch Millionen familiärer Beziehungen verbunden sind. Diese könnten durch
eine militärische Bündnisgrenze im Nu zerschnitten werden. Bis
dahin galt der Westen bei uns vorwiegend als Ritter der Demokratie. Nun
mussten wir enttäuscht feststellen, dass die westliche Politik sich in erster
Linie von Pragmatismus leiten lässt, noch dazu häufig von einem eigennützigen
und zynischen. Viele Russen erlebten das als einen Zusammenbruch ihrer
Ideale. Der Westen freute sich über das Ende des lästigen Kalten Krieges und
beobachtete über die Jahre der Gorbatschow- und Jelzin-Herrschaft hinweg eine
Anarchie im Inneren Russlands und die Aufgabe aller Positionen nach außen
hin. Er gewöhnte sich schnell an den Gedanken, dass Russland nun fast ein
Land der Dritten Welt sei und dass es für immer so bleiben werde. Als
Russland wieder zu erstarken begann, reagierte der Westen panisch –
vielleicht unter Einfluss nicht ganz überwundener Ängste… Das vollständige Interview: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-52345037.html |