Woher
wissen wir eigentlich, dass der Streit zwischen Merkel & Cie. und Obama
& Co. kein abgekartetes Spiel ist? Als Hilfe bei der Beantwortung der
Kriegsschuldfrage, bevor er begonnen hat.
Von Albrecht
Müller 10. Februar 2015 http://www.nachdenkseiten.de/?p=24965 Mit Gewissheit kann ich auch nicht sagen, ob der Disput
zwischen Merkel, Hollande, Steinmeier einerseits und Obama, McCain,
Poroschenko andererseits echt ist oder strategisch ausgedacht. Für letzteres
sprechen einige Indizien. In der jetzt öffentlich geführten Auseinandersetzung geht es
in einem ersten Versuch darum, Russland ohne Krieg zu isolieren,
wirtschaftlich zu schaden, zu destabilisieren, und die Ukraine und später
auch weitere Nachbarstaaten in den Westen zu ziehen, zunächst nahe an die EU,
dann in die EU und in die NATO. Die Bundeskanzlerin Merkel hat das mit ihrer
Erinnerung an den Mauerfall und die dafür notwendige Geduld als Ziel
beschrieben, die strategische Überlegung also ausdrücklich genannt und
bekannt. Falls dies nicht ohne größeren Krieg möglich sein sollte, dann
geht es aus der Sicht Deutschlands und des Westens darum, die
Kriegsschuldfrage jetzt schon zu beantworten, bevor der große Krieg begonnen
hat: die Russen sind schuld, genauer Putin, der seltsam gewendete Putin, wie
es in einigen Einlassungen westlicher Politiker heißt. Im folgenden werden drei Fragenkomplexe besprochen:
I. Welche Indizien sprechen für ein abgekartetes Spiel?
II. Anzeichen für den wiederkehrenden Versuch, die Kriegsschuldfrage
jetzt schon zu beantworten
III. Anzeichen für die Gefahr einer größeren kriegerischen
Auseinandersetzung (dieser Teil folgt bei nächster Gelegenheit) Zu I.: Welche
Indizien sprechen für ein abgekartetes Spiel? 1.
§ Beide
Seiten ziehen einen großen Nutzen aus dem Disput, ohne dass es sie
irgendetwas Gravierendes kostet: § Angela
Merkel profiliert sich mit ihrem vorläufigen Nein zu Waffenlieferungen an
Kiew als Friedensfreundin. Sie und Außenminister Steinmeier erreichen damit
Menschen in Deutschland, die sonst weit jenseits ihres Zugriffs verortet
sind. Sie korrigieren zwischendurch damit auch Images, die auf bisherigen
Äußerungen und Taten beruhen. Dazu gleich mehr. § Barack
Obama profiliert sich vor heimischem rechtskonservativen Publikum und seinen
innenpolitischen Gegnern aus der republikanischen Partei als bereit zum
Krieg, als bereit zur Anwendung von Macht und Gewalt. Und er profiliert sich
bei den osteuropäischen Völkern als ihr besonderer Freund und Sicherheitsgarant. 2.
Mit dem Disput ist es gelungen, Waffenlieferungen als
etwas Selbstverständliches erscheinen zu lassen, etwas Selbstverständliches,
über das man jetzt noch streitet, aber man gewöhnt das Publikum daran.
Deshalb ist der Disput innerhalb des Westens auch im Sinne des ukrainischen
Präsidenten und Ministerpräsidenten. 3.
Merkel und Steinmeier sind anders verortet und denken
anders, als es jetzt bei oberflächlicher Betrachtung erscheint. Sie betreiben
ein Doppelspiel. Sie tanken jetzt Glaubwürdigkeit bei Friedensfreunden und
schlagen bei nächster Gelegenheit wieder gegen Russland zu. Angela Merkel hat in ihrer Neujahresansprache folgendes
gesagt: „Es steht völlig außer Frage, dass wir Sicherheit in Europa gemeinsam
mit Russland wollen, nicht gegen Russland. Aber ebenso steht völlig außer
Frage, dass Europa ein angebliches Recht eines Stärkeren, der das Völkerrecht
missachtet, nicht akzeptieren kann und nicht akzeptieren wird.“ 4.
Steinmeier hat bei der Münchner Sicherheitskonferenz den russischen Außenminister heftig
wegen dessen Rede kritisiert. Wenn man Lawrows Rede nachhört oder nachliest, und noch
ein bisschen objektiv zu denken versucht, kann man diese Kritik Steinmeiers
nicht verstehen. Steinmeier hat sich also als Instrument zur Verfügung
gestellt, um den negativen Eindruck von der Rede seines russischen Kollegen
zu prägen und zu verstärken. Das steht im Widerspruch zu dem Mäntelchen, das
Steinmeier sich ansonsten als Vermittler umhängt. Wenn er in der jetzigen
Situation vermitteln hätte wollen, dann hätte er die Rede seines russischen
Kollegen als sachlich wenn auch aus russischer Sicht formuliert akzeptieren
sollen. Es gab keinen Grund dafür, den negativen Ton zur Beurteilung dieser
Rede öffentlich vorzugeben. 5.
Steinmeier hat auch schon bei der von ihm, seinem
französischen und polnischen Kollegen gemeinsam betriebenen Vermittlung des
Übergangs in Kiew ein Doppelspiel betrieben. Er hat die Vereinbarung mit
Janukovic ausgehandelt und ist dann verschwunden, als es darum ging,
wenigstens den Anfang der Umsetzung dieser Vereinbarung zu begleiten. Neuere
Äußerungen des amerikanischen Präsidenten lassen erkennen, dass die USA in
jener Nacht zusammen mit Ukrainischen Kräften die Umsetzung der ein paar
Stunden alten Vereinbarung zunichte machten. Nur Träumer können daran
glauben, dass unser Außenminister Steinmeier davon nichts gewusst haben
könnte, als er die Vereinbarung mit vorbereitete. 6.
Ein Indiz für das Doppelspiel ist auch die Forderung
Merkels, die Russen sollten die Grenze zur Ukraine schließen. Sie weiß ganz
genau, dass diese Forderung von der russischen Regierung und von Präsident
Putin aus vielerlei Gründen nicht erfüllt werden kann, wenn sie den Kredit im
eigenen Land nicht verspielen wollen. Steinmeier und Merkel tragen auf beiden Schultern. Sie
sind eine besonders geschickte Vorhut rein westlicher Interessen. Das ist
meine Einschätzung. Wer anderes glauben will, soll das tun. Zu II.: Anzeichen
für den wiederkehrenden Versuch, die Kriegsschuldfrage jetzt schon zu
beantworten Nicht Kriegsvermeidung, die Schuldzuweisung und damit die
Antwort auf die Kriegsschuldfrage hat offensichtlich oberste Priorität. Wäre
es anders, dann würde man auf westlicher Seite auf das Prinzip der
gemeinsamen Sicherheit in Europa zurückkommen und Russlands Klage, von diesem
gemeinsamen Europa ausgeschlossen zu werden, ernst nehmen. Das ist nämlich
der Kern der Botschaft, die von allen maßgeblichen Reden von russischer Seite
zum Thema ausgeht – von der zuvor erwähnten Rede des russischen
Außenministers, von der Rede Putins
in München 2007 und
anderen mehr. Die maßgeblichen Russen fühlen sich um diesen gemeinsamen
Erfolg der früheren Friedens- und Entspannungspolitik betrogen. Und sie
fühlen sich bedroht von einer Neuauflage des Rollback der vierziger und
fünfziger Jahre des letzten Jahrhunderts. Die Konsequenzen sind auf
westlicher wie auf östlicher Seite die Rückbesinnung auf das Militär, auf
Rüstung und auf militärische Gewalt. Wenn man die mühevolle Arbeit für eine Verständigung und für
die vertraglichen Grundlagen friedlichen Zusammenlebens und einer gemeinsamen
Sicherheit in Europa miterlebt hat, dann versteht man heute die Welt nicht
mehr. Die maßgeblichen Europäer spielen das Spiel der Re-Militarisierung mit,
obwohl es ihren Völkern an den Kragen geht, wenn der Ernstfall eintritt. Besteht wirklich eine Kriegsgefahr? Darüber nachzudenken ist
schwierig und widerstrebt einem. Meines Erachtens ist die Gefahr da und das
Risiko wächst. Und es schwinden die Stimmen, die Kriege prinzipiell für
Wahnsinn halten und die ihre Stimme in diesem Sinn laut erheben. Wichtig: Die Kriegsgefahr wächst umso mehr, je mehr es
gelingt, die Schuld für einen kriegerischen Konflikt um die Ukraine einer
Seite, im konkreten Fall den Russen, zuzuschieben. Daran wird unentwegt
gearbeitet, und meist auch erfolgreich. Europa wird so möglicherweise in
einen Krieg hineingezogen, der für viele europäische Völker verheerend sein
wird. Für die USA nicht. Sie sind trotz nuklearer Bedrohung weiter weg. Diese
Differenz und zusätzlich die Möglichkeit der amerikanischen Oberschicht, ihre
Kinder aus dem Schlachten draußen zu halten, steigert das Risiko für einen
kriegerischen Konflikt. Wer ist schuld am
nächsten Krieg? Einige Gedanken zur vorbereitenden Schuldzuweisung – Zwei
Fragen: 1.
wer hat angefangen? 2.
wer ist der Gute, wer der Böse? Zu 1: Wer hat
angefangen? Diese Frage wird inzwischen diametral anders beantwortet: Der Westen sagt, die Russen haben den Konflikt mit der
völkerrechtswidrigen Krim Annexion begonnen. Die Russen denken in
Einflusssphären und folgen ihrer imperialistischen Neigung. Die Russen sagen, der Konflikt begann mit der NATO
Osterweiterung und dem Bruch aller Versprechen über das gemeinsame Haus
Europa. Die Verantwortung für eine aktive Destabilisierung der Ukraine
und für die eigenartige Übernahme der Macht durch Politiker, die dem Westen nahe
stehen, wird systematisch zu vergessen versucht. Auch sind jene älteren
Politikerinnen und Politiker, die mahnend an die Verabredungen von 1990
erinnern, quasi in der Versenkung verschwunden. Bei der Münchner
Sicherheitskonferenz zum Beispiel traten Personen aus der Gruppe Helmut Kohl,
Helmut Schmidt, Hans-Dietrich Genscher, Gorbatschow, Egon Bahr nicht auf. Sie
sind auch zu alt dazu. Wortführer sind Ischinger, Soros, McCain, von der
Leyen, Steinmeier und die große Zahl der Atlantiker und Angepassten. Wie einseitig das Geschichtsbild im Westen inzwischen schon
gemalt wird, wird beispielsweise am gemeinsamen Entschließungsantrag von fünf
Parteiengruppierungen des europäischen Parlaments einschließlich der
Konservativen, der Sozialdemokraten und der Grünen vom 14.1.2015 sichtbar. Da
ist von aggressiver Expansionspolitik Russlands die Rede. Diese wird aufs
schärfste verurteilt. Da wird gefeiert, dass die Ukraine ihren blockfreien
Status aufgegeben hat und dazu ermuntert, dass die Mitgliedsstaaten unter Führung
der EU eine gemeinsame europäische Haltung gegenüber Russland entwickeln. Es
wird auch eine besondere Anstrengung der propagandistischen
Auseinandersetzung mit Russland vorgeschlagen. Das Russland die EU Osterweiterung und die NATO Osterweiterung
entgegen seiner begründeten Erwartungen nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes
von 1989 ertragen musste und zunächst hingenommen hat, dass der russische
Präsident 2007 bei der Sicherheitskonferenz in München dieses Vorgehen
beklagte, juckt die westliche Seite und auch das europäische Parlament nicht.
Das ist sozusagen Schnee von gestern. Das Bild wird jetzt so gemalt, dass der
Konflikt mit der Annexion der Krim begonnen hat. Dass es auf russischer Seite so etwas wie das Grundgefühl „Bis
hierher und nicht weiter“ gibt, versteht man nicht oder will es nicht
wahrhaben, weil man sich nicht mehr in die Lage des Konfliktpartners
versetzen will. Auch hier besteht ein gravierender Unterschied zum
erfolgreichen Versuch der Zusammenarbeit zwischen Ost und West. Das ist ein Beispiel
mehr dafür, dass die Politik Phasen der Regression kennt, also der
Rückentwicklung der geistigen und konzeptionellen Fähigkeiten. Zu 2.: Wir sind
die Guten. Die Russen sind die Bösen, besonders sichtbar an Putin. Die Abwertung des potentiellen Kriegsgegners ist eine wichtige
Voraussetzung für den Ernstfall. Hier kann die westliche Propaganda auf eine
seit langem wirkende offene und unterschwellige Propaganda zurückgreifen. Die
Russen waren in den Augen vieler Betroffener sowohl zur Nazizeit als auch
nach dem Zweiten Weltkrieg so etwas wie Untermenschen. Das schwingt nicht
mehr bei einer großen Mehrheit mit, aber offensichtlich bei wichtigen
Multiplikatoren. Jedenfalls ist es optisch in unseren Medien und verbal in
der Politik präsent. Wichtig ist die Personalisierung: Putin wird als schlimmer
Finger dargestellt. Und es wird inzwischen auch behauptet, er habe sich zum
Schlimmeren verändert. Diese Behauptung ist wichtig, weil bei zu vielen
Deutschen verankert ist, dass man sich mit den Russen und auch mit ihrem
Präsidenten eigentlich gut verstehen kann. Sichtbar ist das an den vielen
Wirtschaftsbeziehungen. Sichtbar ist es an der Präsenz vieler Russen, von
Berlin bis Baden-Baden und den österreichischen Wintersportgebieten. Aber wie
bei den wirtschaftlichen Beziehungen wird auch auf diese Verankerungen wenig
Rücksicht genommen. Es geht zurück. Und das Feindbild bekommt wieder seine
Strukturen. Eine besondere Variante des Bösen ist das angebliche
Vorhandensein imperialistischer Neigungen. Der Ukrainische Ministerpräsident
Jazenjuk hat dieses Motiv bei seinem letzten Besuch in Berlin auf die Spitze
getrieben, als er folgendes sagte: „Wir können uns alle sehr gut an die
sowjetische Invasion der Ukraine und Deutschlands erinnern. So etwas muss man
vermeiden. Und niemand hat das Recht, die Ergebnisse des Zweiten Weltkriegs
erneut zu schreiben“. Zumindest die Besetzung Deutschlands durch die Rote
Armee gegen Ende des Zweiten Weltkriegs kann man nicht als sowjetische
Invasion bezeichnen. Der Ministerpräsident der Ukraine tut es mit der
Absicht, das Bild des bösen Russen weiter auszumalen. Dieser Text ist für nichtkommerzielle Zwecke
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